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14.11.2025

Gefahr für bewährte Strukturen


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Kathrin Weiß, Pressesprecherin
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Notdienstreform ohne Patientensteuerung fährt gegen die Wand

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin bewertet den aktuellen Referentenentwurf zur Reform des ärztlichen Notdienstes kritisch. Nach Überzeugung der KV Berlin verfehlt das Gesetz sein eigentliches Ziel: die Entlastung der Notaufnahmen durch eine gezielte Patientenkoordination. Statt einer Verbesserung schwächt das Gesetz die ambulante Versorgung, sorgt für zusätzliche Bürokratie und unklare Zuständigkeiten.

„Der Entwurf greift die eigentliche Herausforderung nicht auf“, sagt Dr. Burkhard Ruppert, Vorstandsvorsitzender der KV Berlin. „Patientinnen und Patienten können weiterhin selbst entscheiden, welches Krankenhaus sie im Notfall aufsuchen, auch ohne vorherige Ersteinschätzung. Dabei spielt es keine Rolle, ob tatsächlich eine medizinische Notwendigkeit besteht. In Zeiten häufig fehlender Gesundheitskompetenz ist das fatal. Die Übersteuerung der Notaufnahmen bleibt bestehen. Patientensteuerung bleibt ein leeres Versprechen.“

Nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums sollen bundesweit Integrierte Notfallzentren (INZ) entstehen, die gemeinsam von Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen betrieben werden. Dr. Ruppert warnt jedoch, dass die verpflichtende Errichtung solcher Zentren bestehende, gut funktionierende Modelle gefährden könnte: „Viele regionale Kooperationen arbeiten bereits erfolgreich. Eine gesetzlich verordnete Pflicht nimmt den Partnern vor Ort den Gestaltungsspielraum und kann funktionierende Strukturen verdrängen.“ Zudem sei problematisch, dass nach der Standortfestlegung sowohl Krankenhäuser als auch Kassenärztliche Vereinigungen zum Betrieb eines INZ verpflichtet würden. „Gewachsene Kooperationen auf Augenhöhe drohen ins Ungleichgewicht zu geraten“, so Ruppert.

Auch beim geplanten telemedizinischen Dienst bleiben zentrale Fragen offen. „Mit der 116117 gewährleisten wir bereits heute eine ärztliche Beratung rund um die Uhr“, erklärt Dr. Christiane Wessel, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Berlin. „Die vorgesehene Ausweitung auf eine verpflichtende 24/7-Beratung auch für Kinder und Jugendliche ist ohne verlässliche Finanzierung nicht realistisch und würde zulasten der Regelversorgung gehen.“ Zudem sieht der Entwurf äußerst strikte Erreichbarkeitsvorgaben vor: 75 Prozent aller Anrufe bei der 116117 sollen binnen drei Minuten und 95 Prozent innerhalb von zehn Minuten entgegengenommen werden (§ 75 Abs. 1c Satz 2 SGB V). „Diese Anforderungen sind ohne erheblichen Personal- und Mitteleinsatz kaum umsetzbar und pressen die KVen in ein organisatorisches Korsett“, warnt Wessel.

Unklar ist, ob die Krankenkassen tatsächlich einen fairen Anteil an der geplanten Vorhaltefinanzierung übernehmen werden. Der Gesetzentwurf stellt den möglichen Mehrausgaben der Krankenkassen potenzielle Einsparungen gegenüber, sodass sie im besten Fall gar nicht stärker belastet würden. Für die Kassenärztlichen Vereinigungen bleibt dagegen offen, wie sie die zusätzlichen Kosten ausgleichen sollen.  „Das bedeutet, dass die Vertragsärztinnen und -ärzte einen großen Teil der finanziellen Last tragen müssten, zulasten der ambulanten Regelversorgung“, sagt Dr. Christiane Wessel. „Diese Mittel fehlen dann dort, wo sie am dringendsten gebraucht werden: in der direkten ambulanten Patientenversorgung.“  

Dr. Burkhard Ruppert ergänzt: „Die vorgesehene Finanzierungslogik führt zu einem deutlichen Ungleichgewicht. Während die Krankenkassen kaum Mehrkosten haben, sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen neue Strukturen und Aufgaben ohne zusätzliches Geld bewältigen. Das ist ein klarer Systemfehler, der die Versorgung spürbar schwächt.“

Zudem sieht die KV Berlin die geplanten erweiterten Öffnungszeiten der Notdienstpraxen kritisch. Die Verpflichtung, auch an Wochentagen von 14.00 bis 21.00 Uhr beziehungsweise von 18.00 bis 21.00 Uhr Notdienst anzubieten, könne dazu führen, dass Vertragsarztpraxen früher schließen müssen. „Das schwächt die reguläre Versorgung und erhöht den Druck auf die Praxisteams“, warnt Ruppert.

Die KV Berlin fordert den Gesetzgeber auf, den Entwurf grundlegend zu überarbeiten. Notwendig seien gezielte und mutige Schritte für eine wirksame Patientenkoordination, verlässliche Finanzierungsregelungen und die Stärkung bewährter regionaler Versorgungsmodelle anstelle starrer gesetzlicher Vorgaben.

Dr. Burkhard Ruppert bringt es auf den Punkt: „Diese Reform fährt geradewegs gegen die Wand – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Was fehlt, ist der politische Mut, endlich eine echte Patientenkoordination durchzusetzen. Ohne sie bleibt jede Strukturreform Stückwerk und wird die Notaufnahmen nicht entlasten.“