BMG veröffentlicht Digitalisierungsstrategie
Am 9. März 2023 stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vor. Diese soll allen Akteuren des Gesundheitswesens eine Orientierung über die kurz- bis langfristigen Maßnahmen zu einem zeitgemäßen Gesundheitswesen aufzeigen. Wir stellen die wesentlichen Kernvorhaben der Digitalisierungsstrategie kurz vor.
Elektronische Patientenakte (ePA)
Eines der zentralen Ziele der Digitalisierungsstrategie ist, dass bis 2025 80 Prozent der gesetzlich Versicherten über eine elektronische Patientenakte (ePA) verfügen sollen. Dafür wird die ePA auf das sogenannte Opt-out-Verfahren ausgerichtet, mit dem Versicherte automatisch von ihrer gesetzlichen Krankenkasse eine ePA erhalten, sofern sie dem nicht aktiv widersprechen (siehe Sonder-PID Digitalisierung Nr. 1/2023). Zudem soll eine digitale Medikationsübersicht in die ePA integriert werden. Bleiben soll, dass die Versicherten ihre ePA auf dem Smartphone managen können. Auch das sogenannte feingranulare Zugriffsmanagement, mit dem Versicherte für jede Information in der ePA entscheiden können, welche Leistungserbringer diese einsehen können, wird bleiben.
Da jede Krankenversicherung eine eigene ePA konzipiert, bleibt spannend, wie eine einheitliche Einführung gelingen kann. Ebenso die Frage, wer für die initiale Befüllung und Anleitung der Patient:innen verantwortlich sein wird oder wie die Vergütungsmodalitäten aussehen werden. Zudem muss geklärt sein, wie frühere Daten und Informationen in die ePA kommen können.
E-Rezept
Das E-Rezept soll verbindlich zum 1. Januar 2024 starten. Die Nutzung soll stark vereinfacht werden, sodass E-Rezepte dann sowohl mit der elektronischen Gesundheitskarte als auch mit der App für die ePA eingelöst werden können. Zudem werden die Daten des E-Rezepts für einen automatisch erstellten Medikationsplan und die ePA genutzt, um die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen.
Telemedizin
Die Telemedizin soll ausgebaut werden. Hierfür soll die Begrenzung der Videosprechstunden von 30 Prozent der Leistungen aufgehoben werden. Zudem soll in hausärztlich unterversorgten Gebieten telemedizinisch unterstütztes Fachpersonal beispielsweise in Apotheken und in Gesundheitskiosken die Versorgung unterstützen.
Digital unterstützte Disease-Management-Programme
Zukünftig sollen Versorgungspfade digital unterstützt werden. Dafür werden Disease-Management-Programme (DMP) mit integralen digitalen Bestandteilen wie Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) oder der ePA geschaffen (dDMP).
Messenger-Dienste
Bereits im 2. Quartal 2023 soll der Messenger-Dienst für die Kommunikation zwischen Leistungserbringern kommen. In 2024 wird ein Dienst zwischen Leistungserbringern und gesetzlich Versicherten bereitgestellt. Mittelfristig soll der Messenger um strukturierte Dienste, zum Beispiel zur Bestellung von Folgerezepten, ergänzt werden.
Papierlose Kommunikation
Im Jahr 2026 soll die Kommunikation im Gesundheits- und Pflegewesen zu 80 Prozent papierlos erfolgen.
Digitale Gesundheitsagentur
Die gematik soll als digitale Gesundheitsagentur neu aufgestellt werden und vollständig der Trägerschaft des Bundes unterstellt sein.
Nutzung von Gesundheitsdaten
Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz sollen Daten für die Forschung besser bereitgestellt werden. Hierzu sollen Daten der Krankenversicherungen aus Krebsregistern pseudonomisiert zusammengetragen und für die Forschung bereitgestellt werden. Mittelfristig ist geplant, dass Daten der ePA mittels Forschungspseudonym hierfür nutzbar gemacht werden.
In Anbetracht der Vorteile für eine qualitativ hochwertige Versorgung bewertet die KV Berlin das Vorantreiben der Digitalisierung durch eine umfassende Initiative des BMG grundsätzlich positiv. Dennoch bleiben für die konkrete Umsetzung viele Fragen offen. Bevor eine verbindliche Umsetzung gefordert werden kann, sollten die Anwendungen ausgereift, funktionstüchtig und vor allem praxistauglich sein. Nur dann kann der Mehrwert den Mehraufwand überwiegen und die digitalen Anwendungen auch von den Nutzer:innen angewendet werden. Es bleibt abzuwarten, wie die genaue Konkretisierung der Strategie in den Gesetzesentwürfen des Digitalgesetzes und des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes aussehen wird. Beide sollen bereits im März 2023 vom BMG veröffentlicht werden. Die KV Berlin wird darüber informieren.
Ergebnis der Mitgliederumfrage zum E-Rezept zeigt: Mehrwert in den Praxen bisher nicht erkennbar
Mit einer kurzen Mitgliederumfrage wollte die KV Berlin einen Einblick gewinnen, wie sehr das E-Rezept bereits in den Berliner Praxen angekommen ist. Von 348 KV-Mitgliedern, die die Online-Umfrage vollständig ausgefüllt haben, gaben knapp mehr als die Hälfte (53 Prozent) an, die technischen Voraussetzungen für die Nutzung des E-Rezeptes zu erfüllen (PTV4+-Konnektor, eHBA, PVS-Update, Drucker mit 300 dpi). Knapp 21 Prozent erfüllen die Voraussetzungen nicht und 24 Prozent der Befragten konnten nicht einmal sagen, ob sie technisch zum Ausstellen von E-Rezepten in der Lage sind.
E-Rezept bringt keinen Mehrwert
Unabhängig davon, ob Praxen bereits E-Rezepte ausstellen oder nicht, wurden sie gebeten, Aussagen zum Mehrwert des E-Rezeptes zu bewerten. Was besonders auffällt: Die eigentlich erhofften positiven Effekte der digitalen Anwendungen zeigen sich im Praxisalltag nicht. So fanden beispielsweise Aussagen wie „Das E-Rezept ermöglicht meinen Patient:innen eine flexiblere und schnelle Versorgung mit Medikamenten.“, „Das E-Rezept kann meine Praxisorganisation erleichtern.“ oder „Das E-Rezept ist umweltfreundlicher als das bisherige Papierrezept.“ mehrheitlich überhaupt keine Zustimmung.
Kaum Erfahrung in der Nutzung des E-Rezepts
Anhaltspunkte, warum das so ist, geben die Antworten zur Nutzung des E-Rezepts: 76 Befragte (rund 22 Prozent) gaben an, das E-Rezept bereits genutzt zu haben. Davon stellen nur 13 Ärzt:innen regelmäßig E-Rezepte aus. Die deutliche Mehrheit (rund 78 Prozent) hat bisher keine Erfahrungen mit dem E-Rezept.
Die Gründe sind vielfältig. Am häufigsten wird genannt, dass es zu aufwendig sei oder es unklar sei, wie es funktioniert. Auch wird die Anwendung von vielen Ärzt:innen (21 Pozent) und Patient:innen (19 Prozent) grundsätzlich abgelehnt. Rund 28 Prozent der Befragten nannten weitere Gründe: Zum Beispiel die Unsicherheit bezgl. des geplanten Rollouts und den immer wieder verschobenen Starttermin. Oft genannt wird auch, dass das E-Rezept bislang nichts weiter als ein A4-Ausdruck anstelle des bisherigen Rezepts ist.
Fazit
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen insbesondere drei Schwachstellen, die aktuell dazu führen, dass das E-Rezept in den Praxen nicht zur Umsetzung kommt:
- Verunsicherung: Ein immer wieder verschobener Starttermin, ein abgebrochener Rollout. Das suggeriert eine gewisse Unreife der digitalen Anwendung und hält Praxen ab, das E-Rezept bereits jetzt zu nutzen, auch wenn sie die technischen Voraussetzungen erfüllen.
- Kein digitales Verfahren: Mit der Digitalisierung sollen Prozesse vereinfacht werden, nur dann ergibt sich ein Mehrwert. Aktuell ist das E-Rezept in den meisten Fällen keine digitale Lösung, sondern ein weiterer Papierausdruck. Ein Sinn oder Mehrwert ist hier weder den Praxen noch den Patient:innen zu vermitteln.
- Fehlende Informationen: 25 Prozent der Befragten wissen nicht, ob sie die technischen Voraussetzungen erfüllen. Die KV Berlin sieht hier vor allem auch die PVS-Hersteller in der Pflicht, die Updates für das E-Rezept umzusetzen und ihre Kunden darüber zu informieren.
Zusammengefasst scheint das E-Rezept derzeit in den Praxen zu Mehrarbeit ohne erkennbaren Mehrwert zu führen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Praxen bei der Nutzung des E-Rezeptes zögerlich sind. Hinzu kommt, dass die neue Anwendung auch unter den Patient:innen nicht bekannt ist und vor allem bei älteren Patient:innen auf weniger Akzeptanz stößt.
Der Vorstand der KV Berlin appelliert an den Gesetzgeber, hier zügig nachzujustieren und mit Blick auf die angekündigte Digitalisierungsstrategie die Rahmenbedingungen für das E-Rezept zu überdenken bzw. anzupassen und diejenigen stärker einzubinden, die mit den Anwendungen am Ende tagtäglich umgehen müssen. Denn ohne eine ernsthafte Erprobung in den Praxen wird der auf den 1. Januar 2024 verschobene Rollout erneut kläglich scheitern. Mehr in der heute dazu veröffentlichten Pressemitteilung.