KV Berlin ringt um die Versorgung der Berliner Bevölkerung
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin macht sich Sorgen um die Gesundheitsversorgung der Berliner Bevölkerung. Die trotz erheblicher Gegenmaßnahmen mittlerweile schlechte hausärztliche Versorgung in den Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick ist nur der Vorbote einer Entwicklung, die sich schon sehr bald ausweiten wird – in absehbarer Zeit bereits in Reinickendorf und Spandau. Eine Unterversorgung bei den Hausärzt:innen ist in weiten Teilen Berlins in den kommenden Jahren nicht mehr auszuschließen. Und auch bei den Frauen-, Haut-, Augen- und HNO-Ärzt:innen steuert Berlin in einzelnen Bezirken auf einen Versorgungsmangel zu.
„Es ist also nicht mehr 5 vor 12, sondern längst 5 nach 12. Schon heute haben viele Menschen vor allem in den östlichen Bezirken ernsthafte Schwierigkeiten, eine haus- und fachärztliche Praxis zu finden – erst recht nach dem Ende der Neupatientenregelung. Diese Situation werden wir bald auch in anderen Bezirken erleben. Wir rechnen mit noch längeren Wartezeiten auf Behandlungstermine über alle Fachgruppen hinweg. Diese Situation wird sich weiter verschärfen, wenn die Politik nicht unverzüglich den Schalter umlegt und die Rahmenbedingungen für die Praxen verbessert“, malt Burkhard Ruppert, Vorstandsvorsitzender der KV Berlin, ein düsteres Zukunftsbild der Berliner Situation.
„Gemessen an den Herausforderungen dieser Stadt können wir sagen: Wir haben die Lage insgesamt – über ganz Berlin betrachtet – bisher noch im Griff, auch dank der zahlreichen Maßnahmen, die wir in den vergangenen Jahren aufgesetzt haben, wie zum Beispiel Förderprogramme und die Gründung von KV-Praxen. Aber diese Feststellung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in einzelnen Bereichen bereits spüren, dass wir die Mangelsituation trotz aller Bemühungen ohne eine Änderung der Rahmenbedingungen kaum noch angemessen bewältigen können“, so Ruppert.
Die Herausforderungen sind vielfältig, der Handlungsbedarf ist enorm. Die Altersstruktur der Berliner Ärzteschaft dokumentiert eine alarmierende Entwicklung. Weil schon seit Jahren immer weniger junge Ärzt:innen in die Niederlassung gehen, ist inzwischen die Hälfte der Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen 55 Jahre und älter. Viele von ihnen erreichen in naher Zukunft das Rentenalter, allein bei den Hausärzt:innen sind es 800 von aktuell ca. 2.300. Aktuell praktizieren sogar noch 249 Hausärzt:innen und 435 Psychotherapeut:innen, die mittlerweile über 70 Jahre alt sind.
„Die Alterspyramide steht auf dem Kopf. Und dieser Pyramideneffekt ist in einem Beruf besonders dramatisch, der sich um eine Bevölkerung kümmern muss, die gleichzeitig immer älter und multimorbider wird“, so Christiane Wessel, stellvertretende KV-Vorstandsvorsitzende. „Ein Spiegelbild der Gesellschaft ist auch die Tatsache, dass in den Praxen immer mehr angestellt ärztlich gearbeitet wird. Außerdem erfüllt es uns mit Sorge, dass der Trend zur Teilzeitarbeit zunimmt – bei den angestellten als auch bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen.“ Zwar steigen die Arztzahlen jährlich an, doch durch die zunehmende Teilzeit nimmt die Arzt-Zeit ab. „Und weniger Arzt-Zeit bedeutet weniger Behandlungszeit“, so Wessel. Dies sei ein Problem, das nicht innerärztlich, sondern gesellschaftspolitisch gelöst werden muss.
Gravierende Probleme sieht die KV Berlin auch bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. „Seit mehr als 30 Jahren arbeiten die Kolleginnen und Kollegen mit gedeckelten Budgets. Im Durchschnitt erhalten die Berliner Praxen für 20 Prozent ihrer erbrachten Leistungen kein Honorar. Das ist Praxen-Bashing auf allerhöchstem Niveau – ein Zeichen von Ignoranz und Arroganz, nicht zuletzt auch der Krankenkassen. Das gibt es in keiner anderen Branche“, so Wessel.
Damit noch nicht genug: Von den Krankenkassen – gerade auch in der aktuellen Honorarverhandlungsrunde – erneut ignorierte hohe Teuerungsraten, massiv gestiegene Energiepreise und der eklatante Fachkräftemangel auf einem massiv umkämpften Arbeitsmarkt stellen die ambulante Versorgung zusehends vor existenzielle Probleme. „Und mit all diesen Herausforderungen werden wir von der Politik und den Krankenkassen allein gelassen. Viel schlimmer noch: Stattdessen werden uns zusätzlich Knüppel zwischen die Beine geworfen, die ambulante Versorgung wird mit Missachtung gestraft und vor eine wirtschaftliche Situation gestellt, die eine Niederlassung inzwischen nicht nur unattraktiv macht, sondern durch die sie inzwischen zu einem wirtschaftlichen Risiko wird“, geht Wessel mit den Verantwortlichen hart ins Gericht.
Die Politik darf nicht länger die Augen davor verschließen: Ohne eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen in der ambulanten Versorgung sind die ambulanten Strukturen nicht zu festigen und mindestens der Status quo in der Versorgung aufrechtzuerhalten. „Deshalb ist unsere Forderung für die unverzügliche Akutmaßnahme klar: Entbudgetierung aller ärztlichen Leistungen!“, so Ruppert.
Ruppert und Wessel sind sich einig: Der ambulante Bereich braucht Planbarkeit und Verlässlichkeit. „Deshalb ist es an der Zeit, ehrlich mit der Bevölkerung zu sprechen. Die Politik muss endlich mit offenen Karten spielen. Bisher wird den Patienten suggeriert, dass sie alle Leistungen zu jeder Zeit in Anspruch nehmen können. Das kann unter den aktuellen Budgetbedingungen bei gleichzeitiger uneingeschränkter und ungelenkter Leistungsinanspruchnahme nicht funktionieren. Die Berliner Praxen versorgen im Jahr 4,2 Millionen Menschen, die im Durchschnitt 6,8 Mal im Jahr zum Arzt gehen. Das sind sage und schreibe 30 Millionen Behandlungsfälle in jedem Jahr. Zur Wahrheit gehört dazu, dass wir auch das kritisch hinterfragen müssen“, so Ruppert und Wessel abschließend.
Hinweis an die Medien:
Hier erhalten Sie die im Rahmen der heutigen Pressekonferenz der KV Berlin gezeigte Präsentation als Download.